Der1970 geborene Texaner Taylor Sheridan hat mit der Western-Serie „Yellowstone“einen Erzählkosmos ins Leben gerufen, in dem er alle kreativen Zügel in derHand hält. Wie schon in seinen Film-Drehbüchern zu „Sicario“, „Hell or HighWater“ oder „Wind River“ kreisen Sheridans Serien um das Absterben einesursprünglichen „American Way of Life“ und den Versuch, das Recht in die eigenenHände zu nehmen. Das scheint konservativen Ideen in die Hände zu spielen, dochlässt der erfolgreiche Filmauteur einfache Zuschreibungen nicht zu.
Diehohe Kunst des Rodeo-Reitens, das lernt man in Taylor Sheridans Western-Serie „Yellowstone“,besteht aus einem Set an Fertigkeiten, die auch in Hollywood höchst gefragt sind.Da wäre die Hartnäckigkeit, die ein Cowboy mitbringen muss, um nicht gleich wiedervom Rücken des Pferdes oder des Bullen geschleudert zu werden. Gefragt ist aucheine gesunde Portion Selbstdarstellung, denn ohne die Aura des Reiters, ohne Rückhaltaus dem Publikum oder gar Verehrung gäbe es kein tragfähiges Hochgefühl. Und außerdemgehört wohl auch ein unerschütterlicher Glaube an die eigenen Fähigkeiten dazu.Denn ohne dieses Bündel lassen sich die Rückschläge in beiden Welten nicht überwinden.
Rückschlägeund Karrieretiefs kennt auch der Drehbuchautor, Produzent und Darsteller Taylor Sheridan zur Genüge. Zeitweilig lebte der in Cranfills Gap, Texas, aufgewachseneKünstler mit seinem Hund in einem Auto; seine Ersparnisse waren bis zum letztenDollar aufgebraucht. Wie so viele vor ihm hatte Sheridan davon geträumt, inHollywood groß herauszukommen und es als Schauspieler nach ganz oben zuschaffen. Das war ihm aber nur zeitweilig vergönnt. Mit Rollen in Serien wie „Walker,Texas Ranger“, „Veronica Mars“ und „Sons of Anarchy“ erreichte er erste, abernicht dauerhafte Erfolge.
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Einer dergefragtesten Männer in Hollywood
Dannaber trat eine Wende in Sheridans Leben ein, die ihn vom wackeren Darsteller zueinem der gefragtesten Männer in Hollywood machte. Schon lange hatte sich Sheridanmit der Idee eigener Drehbücher getragen. 2015 gelang ihm als Autor derDurchbruch. Das fulminante Skript zum Drogenthriller „Sicario“wurde von Denis Villeneuve aufgegriffen und verfilmt. Vor allemunter Actionfans fand das stylisch-brutale „War on Drugs“-Drama in denunwirtlichen Weiten Arizonas seine Anhänger. Obwohl die Kritiken überwiegendpositiv ausfielen, bekrittelten manche, dass der Film sich nicht um dieUrsachen des Drogenkrieges kümmere; die Inszenierung sei zu sehr auf Effekteaus; narrative Löcher und logische Brüche im Plot seien unübersehbar. Das warenEinwände, denen sich Sheridan im Laufe seiner Karriere immer wieder ausgesetztsah.
Imelektrisierenden „Sicario“-Aufwind steuerte er mehrere Drehbücher zu Filmenbei, die im Kino recht erfolgreich waren. 2016 kam mit „Hell or High Water“ ein elegischer Texas-Western um ein Brüderpaar auf die Leinwand,das mit Banküberfällen die Raten für die Familienranch begleichen will. EinTexas Ranger ist ihnen aber schon auf den Fersen.
Dochder eigentliche Feind der Brüder ist das Kreditinstitut. Seine Vertreterpeinigen die Familie mit Zinslast und Hypothek. Es ist eine Konfliktlage, diebei Sheridan häufig in Stellung gebracht wird: auf der einen Seite die(körperlich) hart arbeitende Bevölkerung, die kleinen, guten Leute auf demLand. Auf der anderen Seite die stets zweifelhaft agierenden Agenten derFinanzwirtschaft und anderer Instanzen wie Politik und Justiz. Meist imaginiertals glattrasierte Schnösel, parlierend in aufpolierter Hochsprache, Ivy-League-Snobsin Maßanzügen und -kostümen. Ein grundsätzlich antielitärer Impetus prägtSheridans Erzählungen. Die genannten Elitenvertreter zeigen sich in ihremAgieren stets als herz- und gesichtslose Instanzen, die das authentische Daseinder Landbevölkerung unterminieren, mittels Immobilienspekulation, juristischenWinkelzügen und ökonomischer Verdrängung. In deren Tross befinden sich häufigZerrbilder von Hipstern, Aktivisten, die gegen Farmer und für Tierrechtedemonstrieren, sowie andere, wenig zupackende Vertreter des liberalenZeitgeists. Diese bewohnen nicht mehr nur länger die Küstenmetropolen des Landes,sondern, wie in der Westernserie „Yellowstone“ zu sehen, zunehmend auch dieStädte des Kernlandes, wo diese Eliten-Repräsentanten im Verbund das Absterbendes „American Way of Life“ vorantreiben.
Dagegensetzt Sheridan gerne seine nichtkorrumpierbaren Helden, vom Typus häufig missmutige,knurrende Haudegen, mit dem Herz am rechten Fleck und einer Aversion gegen denZeitgeist. Ihnen obliegt es, das zeitübergreifende Recht, vielleicht auchNaturrecht, in die eigenen Hände zu nehmen – und im Zweifelsfallzurechtzubiegen.
Offene Wunden derUS-Gesellschaft
2017setzte er mit „Wind River“ erstmals ein eigenes Drehbuch alsRegisseur um. In dem Thriller über die Jagd nach einem Killer in denwinterlichen Weiten von Wyoming geht es um einen Mordfall an einer jungen indigenenAmerikanerin. Sie ist nicht die erste tote Frau in dem Reservat; bislang wurdeaber keiner der Morde aufgeklärt. Eine FBI-Agentin wird aus Las Vegas in die eisig-weißeWüste beordert, wo sie mit den brutalen Realitäten der Natur und des Landes konfrontiertwird. Ein einheimischer Spurenleser hilft ihr dabei, ihren natürlichenInstinkten zu vertrauen. Der mörderische Plot rührt auch an eine offene Wundeder US-Gesellschaft, der fortgesetzten Gewalt gegen die Ureinwohner.
DieWürde der indigenen Völker fasziniert Sheridan vor allem wegen eines nicht-idealisiertenNaturverhältnisses. Sheridans Kino- und Fernsehgeschichten sind nicht von Nativesbevölkert, die im friedlichen Einklang mit der Natur leben; sie wissenvielmehr, dass die Natur auch ein Feind sein kann. Es ist ein gebrochenesVerhältnis, da es die brutale Realität zu akzeptieren gilt. Sheridan nenntseine drei Filme „Frontier-Trilogie“. Das ist insofern konsequent, als seinKreisen um die Ursprungsmythen des Landes die Western-Grundierung seinesSchaffens offenbart. Der Schritt hin zu den Cowboys in „Yellowstone“, denSheridan ab 2018 unternahm, war daher folgerichtig.
Sheridansiedelt die Serie in Big Country, dem wilden, von zivilisatorischen Übeln zunächstunberührten Montana, an. Der Stoff lag lange beim Sender HBO, wo ihn niemandanpacken wollte. Erst der Wechsel zum Konkurrenzsender Paramount (Viacom) öffneteeinen Weg. Das Studio war gerade mit dem Aufbau einer Streaming-Plattformbeschäftigt und benötigte dringend „Content“. Dieses Bedürfnis wusste Sheridanmit enormem kreativem Output zu befriedigen. „Yellowstone“ wurde zu der derzeitmit Abstand erfolgreichsten Serie im US-amerikanischen Fernsehen.
Dasstetig wachsende „Taylorverse“
Dabeiist „Yellowstone“ eigentlich ein Paradox, das es in der hochgradigarbeitsteiligen Landschaft der aktuellen Streaming-Produktionen gar nicht gebendürfte. Denn alles stammt hier aus einer einzigen Feder, der des Produzenten,Autors und Regisseurs Taylor Sheridan. Ein „Writers’ Room“ kommt für Sheridannicht in Frage. Der auf seiner Farm in Texas lebende Filmemacher schreibtangeblich acht bis zehn Stunden an jeder Episode. Unermüdlich, Folge für Folge.„Yellowstone“ ist mittlerweile auf fünf Staffeln und zahlreiche Spin-Off-Serienwie „1883“ und „1923“ sowie die voraussichtlich 2024 erscheinendenSerien „Lawman: Bass Reeves“ und „6666“ angewachsen. Paramount investiert jährlichmehr als 500 Millionen Dollar in die „Yellowstone“-Reihe, die neben demhalbwegs erfolgreichen „Star Trek“-Reboot aktuell das einzige Zugpferd des Studiosist. Damit nicht genug: Nebenbei verantwortet Sheridan weitere Serien, etwa dasGefängnisdrama „Mayor of Kingstown“, die Antiterror-Serie „Special Ops:Lioness“ oder die Geschichte des nach Oklahoma versetzten Mafia-Manns „TulsaKing“ mit Sylvester Stallone in der Hauptrolle.
Längsthat Sheridan keine Mühe mehr, große Stars zu engagieren. Egal ob Nicole Kidman, Zoe Saldaña, Morgan Freeman (in„Special Ops: Lioness“), Harrison Ford und Helen Mirren(„1923“) oder Dianne Wiest, Kyle Chandler und Jeremy Renner („Mayor of Kingstown“): die Großen aus Hollywood stehenmittlerweile Schlange, um in einer von Sheridans Kreationen mit dabei zu sein. Dabeigilt Sheridan als schwierig im Umgang und als halsstarrig und unerbittlich in denVertragsverhandlungen mit den Studios. Anders als Writer-Producer wie ShondaRhimes („Grey’s Anatomy“), Dick Wolf („Law and Order“) oder Ryan Murphy(„American Horror Story“), die zu Großunternehmern mit einer Maschinerie ausDrehbuchautoren mutierten, setzt Sheridan weiterhin auf das Prinzip „Marke Eigenbau“und die vollständige kreative Kontrolle. Im Zuge des Autorenstreiks war ihm seineharte Linie sogar einen Streit mit der Drehbuchautoren-Gewerkschaft WGA wert;zu den Forderungen der Writers Guild zählt ein Minimum bei der Besetzung desWriters’ Rooms.
DasIdeal des Filmauteurs, das sonst nur im europäischen Autorenkino seinenAusdruck findet, erfüllt in den USA im Serienbereich höchstens noch Mike White, der für HBO gerade die Anthologie-Serie „The White Lotus“realisiert, eine von der Kritik hochgelobte, in der Zuschauergunst aber vonBlockbuster-Serien wie „Yellowstone“ weit entfernte Reihe.
DieHBO-Verantwortlichen dürften sich ärgern, „Yellowstone“ nicht produziert zuhaben. Mit dem aktuellen Aushängeschild von HBO, dem Familienpatriarchen LoganRoy (Brian Cox) in „Succession“, hat das Oberhauptdes Dutton-Clans aus „Yellowstone“, John Dutton (Kevin Costner), nämlicheiniges gemein. Wie sein Großstadt-Pendant, das in den Reihen seiner Familie nacheinem Nachfolger für sein Medien-Imperium sucht, fahndet Dutton in seiner Sippenach einem würdigen Erbfolger, der die Ranch in Montana übernehmen soll. Seinepsychologisch derangierten, völlig inkompetenten Kinder wollen aber nicht indie Fußstapfen des alten Haudegens treten.
Direkt ins krudeGeschehen der Welt
DerKritiker der „New York Times“, Ross Douthat, hat „Yellowstone“ kürzlich als „mostRed State Show“, als eine Show für das Heartland und den Sun Belt, aber nichtfür die von den Eliten des Landes bewohnten Küsten, bezeichnet. Und dasdistinguierte Magazin „New Yorker“ betitelte die Produktion als „YeehawSuccession“. Bei genauerer Betrachtung hinken diese Vergleiche. Meilen trennendie beiden Produktionen hinsichtlich ihrer Auseinandersetzung mit denjeweiligen Stoffen. Wo Jesse Armstrong und sein Autorenteam in „Succession“ihre vielschichtigen Charaktere in hintersinnig-doppelbödigen Dialogen durchdie irren Wendungen eines Firmenübernahme-Gegeneinanders voller Gift undköstlicher Gemeinheit entsenden, schickt Sheridan seine maulfaule Cowboy-Sippelieber direkt ins krude Geschehen einer Welt, eingedampft auf die pure Essenzder Gewalt, die hinter allem menschlichen Wirken zu stecken scheint.
Füreine Western-Serie ist es erstaunlich, dass ein großer Teil der Handlung nicht unterfreiem Himmel in der Natur spielt, sondern im Innern der Familienranch. Das zwischenmenschlicheDrama der Duttons vollzieht sich bisweilen als Melodrama, wobei Soap-Opera-Einsprengselan „Dallas“ oder „Der Denver Clan“ denken lassen, garniert mit einem Schuss„Sopranos“. Mit dem bewaffneten Arm der von Dutton geleiteten Viehschutzbehördesteht ihm wie einem Mafia-Oberhaupt eine schlagkräftige Privatmiliz zurVerfügung; im ursprünglichen Serien-Pitch war auch vom „Godfather of Montana“die Rede.
„MeineGeschichten haben einen sehr einfachen Plot, der von gegensätzlichenCharakteren lebt“, verriet Sheridan jüngst. DerEinordnungvon „Yellowstone“ als „Red State“, als konservativ und republikanisch, widerspracher vehement. Als ästhetisches Vorbild für sein Schaffen bezieht sich Sheridanimmer wieder auf seinen Lieblingsfilm „Erbarmungslos“ von ClintEastwood, der in der liberalen Öffentlichkeit nicht minder kontrovers diskutiertwurde; in Sheridans Augen ist es Eastwood in den 1990er-Jahren aber gelungen,endgültig mit der „Black Hat-White Hat“-Unterscheidungin Gut und Böse aufzuräumen.
Auchin „Yellowstone“ ertappt man sich immer wieder dabei, den Duttons bei ihrenMachenschaften, die sich keinen Deut von denen ihrer Feinde unterscheiden, dieDaumen zu drücken. Die durchweg mit „männlichen“ Eigenschaften ausgestattetenFrauenfiguren, am einschlägigsten verkörpert von Beth Dutton (Kelly Reilly), erweisen sich dabei oft als noch gnadenloser als ihremännlichen Kontrahenten.
Partei für die„kleinen Leute“
Besonderswenn es um den ewigen Kampf zwischen Großstädtern und Landbevölkerung,notorischen Reformern und Bewahrern geht, ergreift Sheridan stets Partei für die„kleinen Leute“, für die authentische Lebensform im Gegensatz zum entfremdetenDasein der Big City, wo das entfesselte Kapital, die Gentrifizierer und Hipstermit ihren extravaganten Caféhauskreationen der „normalen Bevölkerung“ auf denGeist gehen.
DerExtravaganz und den vermeintlichen Spinnereien des Zeitgeists setzt Sheridanseine nicht-korrumpierbaren Protagonistinnen und Protagonisten entgegen,versehen mit den ewigen Cowboy-Tugenden Ehre, Tapferkeit und harte, körperlicheArbeit. Dem beizuwohnen hat etwas Faszinierendes und Haarsträubendes zugleich.Es ist gar nicht so einfach, den Finger darauf zu legen, welches Element sopublikumswirksam wie problematisch zugleich ist. In seinem Abgesang auf den „AmericanWay of Life“ in „Yellowstone“ findet eine seltsame Gleichsetzung statt.Sheridan legt den zentralen Gedanken ironischerweise dem IndianerhäuptlingThomas Rainwater (Gil Birmingham) in den Mund: „Vor 150 Jahrenwar dies alles das Land meiner Vorfahren. Bis die Großeltern dieser Leute essich nahmen. Und jetzt wird es ihnen weggenommen.“ Mit einemidentitätspolitischen Pinselstrich macht Sheridan die weißen Siedler von einst zuden Native Americans von heute, zu den Opfer einer neuerlichen großen Verdrängung.
Mitdiesem Kniff erzeugt er einige Resonanz, nicht nur beim republikanischgeneigten Publikum. Das notorische Unbehagen an der Gegenwart und ihrerHervorbringungen sowie die Missgunst des Protagonisten dürfte dem einschlägigenTypus des wütenden Onkels gleichkommen, mit dem mittlerweile wohl jede US-Familieaufwarten kann, und beileibe nicht mehr nur sie.
Taylor Sheridan hat sich mittlerweile auf seinerriesigen Ranch nahe Fort Worth in Texas eingerichtet. So ganz lässt er sich dasSchauspielern fernab von Los Angeles aber nicht nehmen. In dem NebencharakterTravis Wheatley hat er sich selbst in „Yellowstone“ eingeschrieben, als einen vonder Prärie gegerbten Cowboy. Einen „Horse Trader“und Rodeo-King, der seinen Pferden ziemlich einzigartige Kunststückchen beibringt.Es sind der Zahl nach nicht viele, doch die Tricks, die Sheridan in dieserRolle zum Besten gibt, sind verdammt beeindruckend.